Aus dem Magazin „KörperGeistSeele“
(Ausgabe Mai 2011)
Würden wir den Versprechungen der Werbung glauben, müssten wir alle glücklich sein. Doch viele Menschen sind melancholisch veranlagt und auch depressive Anteile und Lebensphasen gehören zum Leben dazu.
KGS Berlin sprach darüber mit Mareen Muckenheim, der Schulleiterin der Chiron-Schule für Klassische Homöopathie.
KGS: Wenn wir den aktuellen Prognosen glauben schenken sollen, werden 2020 Depression und Angsterkrankungen die Volkskrankheit Nummer Eins sein. Wie kommt das, obwohl uns die Medien das Gegenteil als Ideal proklamieren? Warum können wir nicht glücklich sein?
Muckenheim: Ich glaube nicht, dass es unsere Bestimmung auf der Erde ist, glücklich und freudig zu sein. Ich glaube, dass es schon immer das Unerfüllte im Menschen gab, ganz so wie es bereits antike Dramen andeuten. Wir suchen immer etwas. Der Mensch ist somit auch nicht immer gut oder strebt immer das Gute an. Jeder sucht zwar Befriedigung – ein viel besseres Wort als das der Freude –, doch diese Suche kann auch sehr unterschiedlich ausfallen. Gewiss können gesunde Menschen oder Normalneurotiker, wie ich sie nenne, Glücksmomente erfahren, doch wir sind darauf weder programmiert noch haben wir es abonniert.
Welche Ursachen sehen Sie für die Erkrankung?
Zum einen haben wir genetische Dispositionen, was stärker in den Fokus der Psychiatrie rückt. Dazu gibt es immer mehr Studien, die das belegen. Das andere ist, dass wir Dinge, die wir erleben, unterschiedlich verarbeiten. Das fängt beim ersten Lebensschrei an und ist in der ersten Lebensjahren ganz entscheidend. Wie erlebe ich meine Umwelt und welche Lösungsmöglichkeiten entwickle ich? Das Entwickeln von Normalneurosen ist dabei das Harmloseste, das wir alle entwickeln können. Es ist ganz so wie gemäß der Gestalttherapie: eine kreative Lösung. Unter Geschwistern können wir sehr schön sehen, wie unterschiedlich wir dies machen. Gesundheit wäre in diesem Zusammenhang, dass wir in der Lage sind, verschieden und nuanciert auf unsere Umwelt zu reagieren. Heutzutage gibt es aber so immense Stresssituationen bei den Menschen, dass Angsterkrankungen und Depressionen zunehmen. Es ist eine Entwicklung der letzten Jahre, denn wer einen Job hat, muss wahnsinnig viel dafür arbeiten, und wer keinen hat, den stresst es, dass er keinen Job hat. Angsterkrankungen sind dabei besser zu heilen als Angsterkrankungen in Kombination mit einer Depression. Ein Burnout kann immer auch vergehen, wenn ich aber eine Depression habe, so sitzt es tiefer.
Welche Heilungskonzepte bieten sich an?
Meine Therapieverfahren sind die klassische Homöopathie und Körperpsychotherapie, auch gern in Kombination verwendet. Bei der klassischen Homöopathie versuchen wir zunächst mittels der Anamnese festzustellen, wie die Person eine gewisse Situation aufnimmt und empfindet. Nach dem Ähnlichkeitsprinzip suche ich dann dementsprechend das ähnlichste homöopathische Mittel aus, welches über eine gewisse Zeitspanne eingenommen werden muss. Der körperpsychotherapeutische Ansatz ist ebenfalls auf eine längere Zeit ausgerichtet. Hier wird mittels der Sprache als auch mit Einsatz des Körpers in Form von Gestik, Bewegung oder gutem Bodenkontakt gelernt, sich selbst wahrzunehmen und auszudrücken. Wut, Trauer oder Angst müssen zunächst gefühlt werden, denn viele fühlen es gar nicht, sondern somatisieren es gleich. Und je früher eine Störung in unserem Leben auftritt, desto eher kann die Störung nur nonverbal ausgedrückt werden. Das Schöne dabei ist, dass ich mit der Körpertherapie immer auch in diesen vorsprachlichen Bereich gelange. Therapieformen, die allein über die Sprache arbeiten, funktionieren in diesem Fall nicht. Man kann aber den Körperimpulsen einfach nachgehen und dadurch Probleme, die in den Lebensjahren null bis drei entstanden, versprachlichen.
Wie sieht es mit dem oft so schwierigen Alltag depressiver Menschen aus?
In der ersten Therapiephase müssen zunächst immer die Alltagserfahrungen besprochen werden, bevor man später tief und fest an einem Thema arbeitet. Es ist wichtig, da der Patient erst so im Alltag gefestigt wird, sich nicht immer von allem angegriffen fühlt und dadurch aus der Bahn gerät. Denn die Grundempfindung der Depression ist: Ich bin nichts wert. Und wenn zum Beispiel ein Chef sagt, du hast einen Fehler gemacht, so erinnert uns das meistens an irgendwelche familiären Strukturen. Sonst könnte es uns nicht treffen. Und hinzu kommt, dass auch noch der ganze Tag versaut ist und man sich als Versager fühlt. Der Patient muss da zu unterscheiden lernen. Er selbst. Ich als Therapeutin kann dazu auch keine Ratschläge geben, zum Beispiel „da ist die Tür“, das ist schlechtes Therapeutentum. Der Therapeut ist eher ein Brückenbauer. Das ist mein Job.
Kann man sich völlig neu auf Glück programmieren?
Es ist auffallend, dass Depressionen in gewissen Familien gehäuft vorkommen und dort eine generelle Veranlagung für Antriebslosigkeit, fehlenden Wille und Gleichgültigkeit existiert. Alles scheint grau, es fehlt der Sinn. Die persönliche Betrachtungsweise völlig zu ändern, so dass wir also von einem Tag auf den anderen voller Freude und Glück sind, wird aus meiner Sicht nicht passieren. Immer wieder wird es Situationen geben, die uns belasten können. Wir sind dann nicht mehr oder weniger handlungsfähig. Der eine wird dann diesen Punkt schneller, der andere langsamer überwinden. Man kann so auch mal tagelang traurig sein, dafür plädiere ich sehr wohl. Auf dem Wege der Heilung kann ich mich dann aber früher besinnen, was ich mir wert bin. Dies ist die Balance-Schale: Degradierung und Selbstwertgefühl. Bin ich mir meiner selbst etwas wert, kann ich mir selbst helfen oder notfalls Hilfe holen. Und gerade Hilfe zu holen, ist wichtig, denn wir alle müssen uns mitteilen. Jedoch haben viele Depressive die Tendenz, sich zurückzuziehen. Doch ein gewisser sozialer Austausch mit seiner Umwelt sollte erfolgen.